Jahresbrief 2016
Liebe Mitglieder der Vereinigung der Wunderbaren Medaille für Österreich!
Istanbul, 25. Oktober 2016
Dies ist der zweite Brief, den ich Ihnen aus Istanbul schreibe. In unserem Gastland Türkei, aber auch in vielen anderen Teilen der Welt gab und gibt es in jüngster Zeit viele Veränderungen. Die Wahrnehmungen und Deutungen davon sind oft unterschiedlich, ja gegensätzlich. Schwester Katharina Labouré, die selbst in einer radikalen Umbruchszeit gelebt und vieles tiefer erkannt hat, war bisweilen offensichtlich pessimistisch, was die Ereignisse betrifft. Dennoch strahlt sie einen Frieden und ein Vertrauen aus, das den täglichen Erschütterungen standhält. Immer wieder beruhigt sie die Mitschwestern: Die Jungfrau wird wachen, sie wird alles behüten. Es wird uns nichts Übles zustoßen. Wir müssen beten, dass Gott die bösen Tage abkürze.
Viele Menschen heute in Kriegsgebieten, auf der Flucht, in Gefangenschaft oder ganz einfach betroffen von bitteren alltäglichen Leiden (Krankheit, Krisen, Gewalt) erleben böse Tage. Die Wunderbare Medaille Mariens ist uns auch und gerade für diese Armen als ein Zeichen der Hoffnung, der mütterlichen Nähe Mariens zu allen ihren verlorenen Kindern gegeben.
Die Vereinigung der Wunderbaren Medaille gehört zur weltweiten Vinzentinischen Familie. Seit Juli dieses Jahres haben wir einen neuen Generalsuperior der Lazaristen und Barmherzigen Schwestern, Herr Thomas Mavric CM. Er ist jetzt auch automatisch der neue Generaldirektor der weltweiten VWM (internationale Abk.: AMM). Viele Jahre hat Herr Mavric die Medaillenvereinigung in der Ukraine geleitet und ich bin sicher, dass ihm neben seinen vielen anderen Aufgaben unsere Vereinigung ein besonderes Anliegen sein wird.
Die besondere Botschaft der Medaille wurde durch die Vinzentinische Familie der Gesamtkirche anvertraut. Nachdem Herr Aladel CM auf Anraten des Erzbischofs von Paris Anfang April 1832 die ersten Medaillen in Paris hatte verteilen lassen und in kurzer Zeit auffallende Wunder der Heilung und Bekehrung geschehen waren, wird die Medaille spontan miraculeuse (wunderbar, wundertätig) genannt. Die Nachfrage nach ihr steigt enorm. Vorsichtig erfolgt eine erste kurze Veröffentlichung über den Ursprung der Medaille in einer kleinen kirchlichen Monatszeitschrift. Bald darauf rezensiert ein junger Student in sehr kluger Weise diesen Artikel für eine landesweite Zeitschrift. Sein Name ist Frederick Ozanam. Er wird als Gründer der Vinzenzvereine bekannt werden. Bald darauf beginnt Herr Aladel mit seinem Buch, das in viele Sprachen übersetzt werden wird.
Die Botschaft der Medaille verlangt, so wie die christliche Botschaft insgesamt, ein immer tieferes Bedenken und Konfrontieren mit den Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Bekanntlich hat das II. Vatikanische Konzil kein eigenes Dokument über Maria verfasst, sondern ihr „nur“ ein Kapitel im Dokument über die Kirche gewidmet. „Nur“ ist unter Anführungszeichen zu stellen, weil es hier im Grunde um eine Zusammenführung der damaligen kirchlichen Bewegungen ging: der biblischen, der ökumenisch-liturgischen und der starken marianischen Bewegung. Sie sollten so zu einer Gemeinsamkeit in der Kirche finden und keineswegs sich unabhängig voneinander weiter entwickeln. Papst Paul VI hat dann im Jahre 1974 das apostolische Schreiben über die rechte Form der Marienverehrung Marialis cultus veröffentlicht, in dem er ihren theologischen und seelsorglichen Wert unterstreicht, aber auch zur Überprüfung bisheriger Andachtsübungen auffordert. (24) Nachdem er verschiedene Kriterien dafür anführt weist er auf das das letzte Ziel des Kultes der Seligen Jungfrau hin, das darin besteht, Gott zu verherrlichen und die Christen zu einem Leben anzuhalten, das seinem Willen völlig entspricht. (39)
Der bekannteste vinzentinische Autor des 20. Jh. Herr André Dodin CM empfiehlt daher die Medaille und ihre Botschaft im Licht der Marienfrömmigkeit des hl. Vinzenz neu zu sehen. Vinzenz betrachtet vornehmlich drei „Geheimnisse“ im Leben Marias: Ihre Empfängnis frei vom Makel der Erbsünde bedeutet für ihn, dass Gott sich denjenigen schenkt, die leer von sich, von falscher Selbstbezogenheit sind. (XI, 312) Die Verkündigung mit dem Fiat Marias dient ihm als Vorbild für seine oftmalige Aufforderung an die Schwestern und Brüder: Geben wir uns Gott hin, um die Tugenden zu erwerben und sein Werk zu tun. (X, 106; XI, 10; XII, 15, 132, 262) Die Heimsuchung ist für ihn Vorbild für den Armendienst, für unseren Einsatz für den Nächsten. Maria eilte zu ihrer Verwandten Elisabeth (Lk 1, 39f), von der sie erfahren hatte, dass sie Hilfe brauchte (1, 36).
Die Wunderbare Medaille weiter schenken heißt Hoffnung geben in einer Zeit, in der viele sie zu verlieren drohen. Darum möchte ich Ihnen wiederum herzlich Danken und Vergelt’s Gott sagen, dass Sie durch Ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung dieses Werk mittragen.
Mit Ihnen/Euch im Gebet, besonders aber in der Feier des diesjährigen Medaillenfestes, verbunden, grüßt und segnet Sie/Dich,
Alexander Jernej CM